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Nach unglücklichen Gastspielen beim FC Sion und in Frankreich beim Montpellier HSC (in der Ligue 1) ist Sébastien Wüthrich dankbar, beim FC Aarau wieder Vertrauen und Spielpraxis zu erhalten.

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Die Uhrenstadt La Chaux-de-Fonds spielte im Leben von Sébastien Wüthrich gleich mehrfach eine zentrale Rolle. In der 40 000-Einwohner-Stadt im Neuenburger Hochjura wuchs er zusammen mit seinen Eltern und Bruder Anthony auf. Der Zusammenhalt wird in der Familie Wüthrich gross geschrieben – so schaut die Familie nicht nur viele Spiele von Sébastien live im Stadion, sondern besucht wenn immer möglich auch die Ernstkämpfe des älteren Sohnes Anthony, welcher aktuell als Stürmer beim FC La Chaux-de-Fonds in der Promotion League unter Vertrag steht. So auch im Juni, als Anthony mit seiner Mannschaft noch mitten im Aufstiegskampf steckte.

«Das Geld ist mir egal. Ich will spielen»

Sébastien Wüthrich, Topskorer

Der Zufall wollte es, dass dieses Spiel nebst Sébastien Wüthrich auch von FCA­Verteidiger Stéphane Besle besucht wurde. Die beiden kennen sich aus ihren gemein­samen Zeiten bei Neuchâtel Xamax und beim FC St. Gallen bestens. Und weil Sportchef Raimondo Ponte beim FC Aarau nach dem Abgang von Spielmacher Carlinhos auf der Suche nach einer neuen Nummer 10 war, erkundigte sich Besle bei Wüthrich nach dem aktuellen Stand der Dinge – im Wissen darum, dass dieser eine schwierige Zeit im südfranzösischen Montpellier durchlebte.

Nur wenige Tage später fand sich Wüthrich im Brügglifeld wieder und setzte seine Unterschrift unter einen Zweijahresvertrag, nachdem er kurz zuvor fast beim heutigen Gast aus Zürich gelandet wäre. Doch wieso wechselt ein Spieler mit einem gut dotierten Mehrjahresvertrag aus der Ligue 1 nach Aarau? «Das Geld ist mir egal. Ich will spielen», so Wüthrich, dessen vielversprechende Karriere in den letzten Jahren einige Dämpfer erlitten hat.

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Sébastien Wüthrich durfte bislang vier Tore bejubeln

Die Gebrüder Wüthrich wurden polysportiv ausgebildet. So spielten sie nicht nur Fussball beim FC Le Locle Sports, sondern waren auch mit Eishockey, Leichtathletik und Tennis beschäftigt. Alle Sportarten hätten ihm sehr gefallen, aber «ich lebe den Fussball.» Deswegen entschied er sich im Alter von zwölf Jahren, als er zu Neuchâtel Xamax wechselte, definitiv für das Fussballspielen. Bei den Neuenburgern durchlief er alle weiteren Nachwuchsstufen, bevor er als 16-Jähriger zu seinem ersten Profivertrag kam. Diese Entscheidung fiel ihm nicht leicht, weil er so gezwungen war, das Gymnasium ein Jahr vor der Maturaprüfung abzubrechen. Nur ein Jahr später wäre eine duale Ausbildung von Schule und Sport auch im Kanton Neuenburg möglich gewesen.

Grippe verhindert früheres Debüt

Dennoch sollte sich Wüthrichs Entscheidung als richtig erweisen, denn knapp ein Jahr nach der Vertragsunterschrift schnupperte er beim 1:1-Unentschieden gegen den FC St. Gallen erstmals Luft in der höchsten Schweizer Spielklasse. Ein früheres Debüt verhinderte einige Monate zuvor eine Grippe – ausgerechnet in seiner Heimatstadt La Chaux-de-Fonds, wohin Neuchâtel Xamax aufgrund des damaligen Neubaus der Maladière ausweichen musste. In der Saison 2008/09 avancierte Wüthrich schliesslich zum Stammspieler und zählte während drei weitere Spielzeiten in Neuenburg zu den Leistungsträgern – ehe sich Bulat Tschagajew, der dubiose Investor aus Tschetschenien, als Totengräber für den Club erwies. «Der Konkurs war eine Katastrophe für Xamax und den gesamten Kanton», erinnert sich Wüthrich.

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Der Neuenburger traf auch gegen seinen Ausbildungsverein

Er fand Unterschlupf beim FC Sion. Auf die Zeit im Wallis blickt er mit gemischten Gefühlen zurück und «würde im Nachhinein wohl nicht mehr zu Sion wechseln.» Die Walliser standen zum Zeitpunkt des Wechsels in der Super League auf Platz zwei, kurz darauf folgte jedoch der drakonische, von der FIFA eingeleitete Punkteabzug von 36 Zählern, weil nicht berechtigte Spieler eingesetzt worden waren. Der Klassenerhalt wurde am Ende nur dank dem Xamax-Konkurs und der gewonnenen Barrage gegen den FC Aarau sichergestellt. Chaotisch blieb es in Sion auch in der Folge. «Insgesamt hatte ich in eineinhalb Spielzeiten zehn verschiedene Trainer», erinnert sich Wüthrich. Jeder Trainer sei mit einer anderen Philosophie gekommen, umso schwieriger war es, Vertrauen aufzubauen und die wechselnden Spielideen umzusetzen.

«Ich hatte eine tolle Zeit in der Ostschweiz.»

Sébastien Wüthrich, blickt zurück

Im Winter 2012 wurde Wüthrich für eineinhalb Jahre an den FC St. Gallen ausgeliehen. «Ich hatte eine tolle Zeit in der Ostschweiz, erzielte einige Tore und durfte auch Erfahrungen in der Europa League sammeln.» Diese Leistungen waren natürlich auch Christian Constantin nicht entgangen, sodass er Wüthrich im Sommer 2014 zurück ins Wallis beorderte – weil ein Verbleib bei den Espen an den finanziellen Forderungen von CC scheiterte. Letzterer wollte sogleich den Vertrag mit Wüthrich um mehrere Jahre verlängern, was dieser jedoch ablehnte und fortan nur noch unregelmässig zum Einsatz kam.

Verbale Prügel vom Trainer

Im Winter folgte ein Anruf von Rolland Courbis, Cheftrainer beim Montpellier Hérault Sport Club. «Wenn dich ein Trainer aus der Ligue 1 haben will, gehst du», erklärt Wüthrich, welcher mit grossen Ambitionen und Träumen nach Frankreich zog und bald enttäuscht werden sollte. Auch an der Mittelmeerküste gab es «politische Entscheidungen», als Wüthrich seinen langjährigen Berater nicht durch den Sohn von Trainer Courbis ersetzen wollte. Insgesamt kam Wüthrich in eineinhalb Jahren zu nur zwei Teileinsätzen in der französischen Top-Liga. Zwar durfte er im Fanionteam mittrainieren, zu regelmässigen Einsätzen kam er jedoch nur mit der zweiten Mannschaft, «irgendwo im Nirgend­wo». Als er mit dem Wunsch nach einem Wechsel zum Ligakonkurrenten Bastia zum Trainer kam, habe ihn dieser «verbal verprügelt» und es sei klar gewesen, dass seine Zukunft nicht mehr in Montpellier liegen würde.

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Auch im Training stets am Ball

Zwar habe er in der «wunderschönen Stadt» viel gelernt und auch von den professionellen Strukturen im Club profitiert, doch der Wunsch nach Spielpraxis und Vertrauen war grösser. «Wenn du alleine bist und nicht spielen kannst, ist es sehr hart», erinnert sich Wüthrich an die Zeit vor seinem Wechsel nach Aarau. Hier spürt er das Vertrauen der Verantwortlichen, was er mit vier Treffern und zwei Vorlagen in acht Ligaspielen schon zurückzahlen konnte, womit er an der Spitze der clubinternen Skorerwertung steht. «Eine schöne Momentaufnahme, doch ich werde wohl nicht die ganze Saison eine solche Quote aufweisen», sagt Wüthrich, der zuvor eher als Assistgeber denn als Torschütze in Erscheinung getreten war.

«Physisch muss ich noch arbeiten.»

Sébastien Wüthrich, nach langer Pause

Dennoch sieht er Steigerungspotenzial: «Technisch habe ich nichts verlernt, aber physisch muss ich noch arbeiten – dank der tollen Zusammenarbeit mit dem Staff hoffe ich, in einigen Wochen bei 100 Prozent zu sein.» Er geniesse es, hier spielen zu dürfen, auch weil er in einer sehr offensiven Rolle eingesetzt werde. «Zudem bin ich dankbar, dass ich in eine eingerichtete Wohnung ziehen durfte», lacht Wüthrich, «daher musste mir meine Familie nicht wieder beim Umziehen helfen.» So wohnt er nur wenige Minuten vom Brügglifeld entfernt in der gleichen Siedlung, wo sich auch Alessandro Ciarrocchi und Patrick Rossini niedergelassen haben. Von einem Kulturschock will Wüthrich – zum ersten Mal überhaupt nicht in der höchsten Liga spielend – aber nichts wissen. «Nein, das ist Kopfsache. Der Kopf muss bereit sein für einen solchen Wechsel», so Wüthrich, der diese Aussage mit seinen bisherigen Leistungen klar bestätigte.

Matchzeitung Nr. 5 (2016/17) lesen

Dieser Artikel ist am 25. September 2016 in der Ausgabe Nr. 5 (Saison 2016/17) der Matchzeitung HEIMSPIEL gegen den FC Zürich erschienen.

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