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Markus Neumayrs Biografie liest sich wie die Aneinanderreihung von Fussballerklischees. Der Mittelfeldstratege musste aber auch schon einiges einstecken.

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Ein Profivertrag in der Premier League, rauschende Yacht-Partys, Tattoos und ein ausgefallener Haarschnitt, ein ehemaliges Model als Ehefrau, Ligaspiele vor 80 000 Zuschauern und ein weltbekannter Fussballer als Götti der Tochter: Das ist Markus Neumayrs Fussballerleben. Als der sechsjährige Markus 1992 der Spielvereinigung Hösbach-Bahnhof E.V. beitritt, weiss er von all dem noch nichts. Er weiss nur, dass er Freude am Fussballspielen hat – und träumt von Manchester United: «Ich bewunderte Spieler wie van Nistelrooy, Giggs und Beckham, und ich wollte sein wie sie», so der heute 33-Jährige. Damals ahnt er noch nicht, dass er diesem Traum einmal sehr, sehr nahe kommen sollte…

Ganz unbegabt stellt sich der kleine Kicker nämlich nicht an: Die Wege zum Training und zu den Spielen – und damit die täglichen «Taxifahrten» seiner Eltern – werden lang und länger. Mit neun Jahren spielt Markus Neumayr bei Viktoria Aschaffenburg, vier Jahre später schafft er es in die Jugendabteilung der Eintracht Frankfurt. Als er in die deutsche U-17-Auswahl berufen wird, werben grosse Vereine wie Schalke und Bayern München um das Jungtalent. Doch Neumayr winkt ab. Nicht widerstehen kann er 2003 – der Club seiner Jugendträume ruft an! In einer Kleinstadt nahe Manchester kommt er bei einer Gastfamilie unter – zusammen mit einem damals völlig unbekannten jungen Spieler aus Barcelona: Gerard Piqué.

«Ich lebe im Jetzt, für mich zählt nur, was ist – ich bin kein Mensch, der mit der Vergangenheit hadert.»

Markus Neumayr, über seine Einstellung

Die beiden Jungs haben das gleiche Ziel: Sie wollen in die 1. Mannschaft der United, den Durchbruch schaffen in dem Metier, das sie über alles lieben. Aus der Schicksalsgemeinschaft wird eine Freundschaft fürs Leben. Markus und Gerard kämpfen Seite an Seite für ihren Traum – und sind zuweilen auch gemeinsam jugendlich-unvernünftig. Doch die Wege der beiden Talente sollten sich – zumindest beruflich – bald trennen: Neumayr verletzt sich. Er kämpft sich zwar zurück, wird immerhin Captain der Reservemannschaft – und doch: Der grosse Traum zerplatzt, er schafft es nicht bis ganz nach oben. Fragt man ihn, was hätte sein können, wenn es anders gelaufen wäre, kommt die Antwort: «Es bringt nichts, sich über solche Dinge Gedanken zu machen. Ich lebe im Jetzt, für mich zählt nur, was ist – ich bin kein Mensch, der mit der Vergangenheit hadert.» Und das nimmt man ihm von der ersten Sekunde an ab.

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Neumayr läuft seit der Rückrunde im FCA-Trikot auf

Auf die Saison 2005/06 hin kehrt Neumayr nach Deutschland zurück und absolviert mit dem MSV Duisburg das erste Profispiel seiner Karriere. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits die Frau an seiner Seite, die er einst heiraten wird: Zoë, eine Basler Marketingstudentin, finanziert sich ihr Studium mit Modeln und ist 2005 gerade in Barcelona engagiert, als sie sich auf einer Bootsparty vor der Katalanenstadt in den jungen deutschen Fussballer verliebt. Organisator der Party: Gerard Piqué…

Die Freude am Fussball verloren

Dass er den Durchbruch auf der Insel nicht geschafft hat, bringt Neumayr, der von den meisten einfach nur «Mac» genannt wird, in seiner Heimat viel Spott ein. Im Jahr 2010 erfährt der Spieler die wohl grösste Demütigung seiner Karriere: Als er sich weigert, am Tag nach seiner Bänderverletzung gleich wieder zu spielen, wird er von Trainer Mario Basler kurzerhand in die 7. Liga strafversetzt. «Die Zeit in Burghausen war ein Knackpunkt in meiner Karriere. Ich verlor die Freude am Fussball und fing an zu zweifeln.» Doch er steht wieder auf, lässt sich nicht unterkriegen. Nach einigen Stationen in der Schweiz entscheidet sich Neumayr – inzwischen verheiratet und zweifacher Papa – für den Wechsel an den Bosporus. Das kommt für viele überraschend – vielleicht auch für den Spieler selbst: «Ich hatte kurz zuvor noch meinen Vertrag verlängert und wollte eigentlich beim FC Luzern bleiben. Doch im Sommer 2017 merkte ich, dass es für mich nicht mehr stimmte. Ich konnte mich mit der Philosophie des Vereins nicht mehr identifizieren.»

«Wir wollten unseren Kindern mal eine andere Welt zeigen, waren offen dafür, eine andere Kultur kennenzulernen.»

Markus Neumayr, über seine Abenteuer

Der Wechsel in die Türkei ist gleichbedeutend mit dem Eintauchen in eine völlig andere Lebensweise. Braucht es für diesen radikalen Tapetenwechsel nicht eine gehörige Portion Chuzpe, gerade mit Frau und zwei Kindern? «Natürlich war der Wechsel zu Kasımpaşa Istanbul ein Wagnis. Doch wir wollten unseren Kindern mal eine andere Welt zeigen, waren offen dafür, eine andere Kultur kennenzulernen. Und das haben wir: Der Fussball ist in der türkischen Millionenmetropole König. Das zeigt sich nicht nur anhand der riesigen Zuschauerzahlen, sondern auch am grossen öffentlichen Interesse, das kaum Raum für Privatsphäre bietet. Dennoch haben wir so gut wie möglich versucht, am sozialen Leben teilzuhaben, was uns vor allem auch dank der Kinder ziemlich gut gelang.»

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Neumayr im FCL-Dress gegen Igor Nganga

Nach einem Jahr «Abenteuer Istanbul» taucht Markus Neumayr mit dem Wechsel zum asiatischen Topverein Esteghlal Teheran noch tiefer in den Orient ein. Gattin Zoë, Tochter Lanï (heute 9) und Sohn Dian (6) begleiten Markus Neumayr jedoch nicht in den Iran, kehren stattdessen in die Schweiz zurück. War der Schritt in eine noch fremdere Kultur einer zu viel? «Der Entscheid fiel nicht etwa, weil wir Angst davor gehabt hätten. Doch im Iran nimmt der Fussball einen noch höheren Stellenwert ein als in der Türkei. Es gibt viele gesellschaftliche Tabus; über gewisse Themen wie Politik oder Religion tauscht man sich in der Öffentlichkeit nicht aus. So ist verständlich, dass sich viele Diskussionen und Emotionen bei einem Thema entladen, das unverfänglich ist: dem Sport.»

Ein Ding der Unmöglichkeit

Also ist in Teheran an ein normales Leben nicht zu denken? «Kaum. Die Spieler werden regelrecht belagert und praktisch als öffentliches Eigentum betrachtet. Ein gemütliches Abendessen in einem Restaurant ist ein Ding der Unmöglichkeit – ausser, der Besitzer öffnet das Lokal exklusiv für dich …» Fühlt man sich in dieser Situation, bedrängt von der Öffentlichkeit, überhaupt wohl? «Ich will das nicht werten. Es hat objektiv gesehen auch nichts mit fehlendem Anstand zu tun. Das ist schlicht der komplett anderen Mentalität geschuldet: Ein gewisser Abstand, wie wir ihn hier in der Schweiz als selbstverständlich und respektvoll empfinden, ist den Iranern völlig fremd.»

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Strategen unter sich. Links: Zdravko Kuzmanovic

Während Markus Neumayr im Iran also ein Leben als Superstar führt, im riesigen Azadi-Stadion vor rund 80 000 Zuschauern spielt und sich Armstulpen über die – für ­iranische Augen anstössigen – Tattoos zieht, treibt Gattin Zoë in der Schweiz die Geschicke ihrer eigenen Marketingfirma voran und gestaltet für die beiden Kinder ein geregeltes Leben. «In Istanbul wurden sie von einem Privatlehrer unterrichtet, das wäre in Teheran auch nicht anders gewesen. Das Leben in der Schweiz ermöglicht es ihnen, in einer ganz normalen Schule Freundschaften zu knüpfen und ihren Hobbys nachzugehen.»

Diese entsprechen übrigens ganz dem gängigen Klischee – Lanï liebt Pferde und Dian den Fussball. Und Neumayr liebt seine Familie. So war es nach der schwierigen räumlichen Trennung von seinen Liebsten auch nur eine Frage der Zeit, bis er – um eine wertvolle Episode in seiner Biografie reicher – seine Zelte im Orient abbrach. Zurück in der Schweiz, als Führungsspieler beim FC Aarau, lebt er einmal mehr ein völlig anderes (Fussballer-)Leben. Und auch wenn er aufgrund seiner aufregenden Biografie ein Stück Glamour mit aufs Brügglifeld bringt: Es spricht für den Menschen Markus Neumayr, wie naht- und mühelos er sich ins Gefüge des kleinen Schweizer Traditionsvereins einpasst.

Matchzeitung Nr. 14 (2018/19) lesen

Dieser Artikel ist am 30. März 2019 in der Ausgabe Nr. 14 (Saison 2018/19) der Matchzeitung HEIMSPIEL gegen den FC Schaffhausen erschienen.

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