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Mart Lieder kann wieder jubeln. Nach einem harzigen Start beim FC Aarau bringt der holländische Stürmer seine Kritiker immer mehr zum Verstummen.

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«Morgen will ich das Derby gewinnen und mit den Zuschauern eine Party feiern können.» Mit diesen Worten von Mart Lieder endete unser Gespräch am Vortag des Derbys gegen den FC Wohlen. Wenige Stunden später wurde Lieder tatsächlich zum Derbyheld, als er schon in der zweiten Spielminute mit einem satten Schuss in die entfernte Torecke seinen insgesamt vierten Treffer (zwei davon im Cup) für den FC Aarau erzielte. Der Jubel im Brügglifeld war riesig, am allermeisten dürften sich aber sein bester Freund Joey sowie sein Bruder Joost mit ihm gefreut haben. Die beiden waren rund ums Derby einige Tage in der Schweiz zu Besuch und fieberten auf der Tribüne mit. «Weil sie mir Glück gebracht haben, müssten sie nun eigentlich jedes Wochenende kommen, sodass ich in jedem Spiel Tore schiesse», lachte Lieder nach dem Heimsieg.

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Höhenflug von Mart Lieder nach seinem Führungstreffer beim Derby gegen Wohlen

Zuvor hatte er beim FCA nicht allzu viel Grund zum Lachen gehabt. Erst kurz vor dem Meisterschaftsstart im letzten Juli verpflichtet, konnte Lieder in seinen ersten Spielen noch nicht überzeugen. «Damals war ich drei Monate ohne Spielpraxis», erinnert er sich und erklärt selbstkritisch, dass er deshalb zu Beginn seine Leistung noch nicht auf den Platz bringen konnte. «Es ist zwar möglich, alleine zu trainieren und sich fit zu halten, aber ein Spiel ist durch nichts zu ersetzen», so Lieder. Als er zum Ende der Hinrunde schliesslich vermehrt Einsatzzeit bekam, bewies er seine Qualitäten, und spätestens seit Cheftrainer Marco Schällibaum auf einen Doppelsturm setzt, blüht der holländische Stürmer auf.

Ausbildung zum Sportlehrer

Fussball spielt Mart Lieder schon seit er denken kann – begonnen damit hat er zusammen mit einigen älteren Jungs aus der Nachbarschaft auf den Strassen von Purmerend. In der Stadt nördlich von Amsterdam wuchs Lieder zusammen mit seinem Bruder Joost auf und schloss sich als Junge dem lokalen Fussballclub VV De Wherevogels an; später genoss er die Nachwuchsausbildung beim Profiverein FC Volendam.

Zeitweise spielte er dort zusammen mit dem gleichaltrigen Dave Bulthuis, welcher aktuell beim 1. FC Nürnberg spielt und unter Ex-FCA-Trainer René Weiler als Innenverteidiger gesetzt ist. Nach der obligatorischen Schulzeit schloss Mart Lieder ein Studium zum Sportlehrer ab und unterrichtete ein Jahr lang an einer Primarschule. Zusätzlich machte er im Rahmen seiner Ausbildung eine Spezialisierung zum Snowboardlehrer.

«Es war ein schwieriges Jahr für mich.»

Mart Lieder, mit Dordrecht abgestiegen

An den erfolgreichen Wochen mit zuletzt acht Spielen ohne Niederlage ist Lieder massgeblich beteiligt. Nicht nur für den FC Aarau ist das aktuelle Hoch das Ende einer langen Leidenszeit, verbunden mit zahlreichen Niederlagen und dem Abstieg in die Zweitklassigkeit. Auch Lieder war mit seinem vormaligen Verein FC Dordrecht im vergangenen Sommer nach einer schwachen Spielzeit mit nur vier Siegen aus 34 Spielen aus der holländischen Ehrendivision abgestiegen. In Dordrecht war er lange Zeit Stammspieler war, doch setzte man gegen Ende der Saison nicht mehr auf ihn, nachdem er seinen sich abzeichnenden Weggang kundgetan hatte. «Es war ein schwieriges Jahr», erzählt Lieder, welcher schon zuvor einige Tiefschläge verarbeiten musste.

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Mart Lieder scheitert an Wohlen-Torhüter Joël Kiassumbua

Eigentlich hatte er seine fussballerische Karriere vor sechs Jahren nach seinem ersten Kreuzbandriss – erlitten beim Training – schon für beendet erklärt. Um sich neu zu orientieren, arbeitete er in der Wintersaison zusammen mit seinem besten Freund Joey im österreichischen Skiort Mayrhofen im Zillertal als Snowboardlehrer, wo er zusammen mit seiner Familie schon zu Kindertagen jedes Jahr in den Ferien gewesen war – zuerst als Skifahrer, später im Teenageralter auf dem Snowboard. An die Zeit in Österreich denkt Lieder auch heute noch gerne zurück. Es sei eine grossartige Erfahrung und eine unvergessliche Zeit gewesen.

«Ich wusste, dass ich in meinem Alter nicht nochmals eine solche Chance erhalten würde.»

Mart Lieder, plötzlich in der Eredivisie

Zurück in seiner Heimat wagte er einen neuen Anlauf auf dem Rasen und kickte für den Amateurverein VPV Purmersteijn, wo er seinen Anteil am erstmaligen Aufstieg in die Hoofdklasse (vierthöchste Liga in Holland) hatte. Einige Auftritte später hatte er mehrere Angebote aus der höchsten Spielklasse vorliegen. Der 25-Jährige entschied sich für SBV Vitesse Arnheim und spielte plötzlich in der obersten Liga des Landes. «Ich wusste, dass ich in meinem Alter nicht nochmals eine solche Chance erhalten würde», blickt Lieder zurück. Er vermochte sich jedoch gegen die namhafte Konkurrenz um Jonathan Reis und den späteren 25-Millionen-Pfund-Transfer Wilfried Bony nicht durchzusetzen und wechselte nach einer halben Saison innerhalb der Eredivisie zu RKC Waalwijk.

Unterstützung von Familie und Freunden

Erneut musste sich Lieder vorerst mit Kurzeinsätzen begnügen, ehe er nach dem Jahreswechsel zum Stammspieler avancierte. Sein Durchbruch wurde im Sommer 2013 aber wiederum von der Verletzungshexe gestoppt. In einem Vorbereitungsspiel zog er sich einen weiteren Kreuzbandriss im rechten Knie zu. «Es ist sehr schlimm, wenn du das, was du am liebsten machst, nicht mehr machen kannst», erinnert sich Lieder, doch seine Familie und Freunde hätten ihn – wie schon beim ersten Kreuzbandriss – grossartig unterstützt und ihn ermutigt, durchzuhalten. Auf diese Unterstützung darf Lieder auch in der Schweiz zählen, schliesslich waren Joey und Joost nicht seine ersten Gäste, welche auf der Tribüne im Brügglifeld mitfieberten.

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Mart Lieder mit seinem Bruder Joost (rechts) und seinem besten Freund Joey im Brügglifeld

Zurück in die Region Nord-Brabant: Aufgrund seiner Verletzung fiel Lieder für den grössten Teil der Saison 2013/14 aus und musste tatenlos zuschauen, wie Waalwijk aus der Eredivisie abstieg. Ein Jahr später ereilte ihn – nun wieder als aktiver Fussballer – selbiges Schicksal mit Dordrecht, sodass sich Lieder eine grundlegende Veränderung wünschte. Da kam das Interesse aus Aarau genau richtig, obwohl Lieder im Vorfeld abgesehen vom nationalen Krösus aus Basel nicht allzu viel vom Schweizer Fussball wusste. «Als ich mich über den FCA im Internet informierte, bin ich natürlich auch auf René Van der Gijp gestossen», erzählt Lieder, der nach den Engagements von Van der Gijp (1988–1989) sowie Lody Roembiak (1996–1998 und 2000) der dritte Holländer im Trikot des FC Aarau ist.

«Aktuell gewinnen wir Spiele, welche wir in der Hinrunde noch verloren hätten.»

Mart Lieder, über den Höhenflug

Lieder kann sich mühelos auf Deutsch verständigen. Einerseits, weil es in Holland in der Schule gelehrt wird, andererseits lernte er viel im Rahmen seiner Tätigkeit als Snowboardlehrer in Österreich. «Wenn du hier spielst, musst du Deutsch sprechen, aber dieses Schweizerdeutsch ist schon noch eine andere Nummer», lacht Lieder, dem die verschiedenen Dialekte noch etwas Mühe bereiten. Ebenfalls nicht einfach war die Umstellung auf die Challenge League. Kampfbetont sei die Liga, so Lieder, manchmal habe es wenig mit Fussball zu tun.

Wieso es seit einigen Wochen viel besser läuft als zu Beginn der Saison, kann auch Lieder nicht abschliessend beurteilen. Im Fussball sei nicht immer alles erklärbar. «Aktuell gewinnen wir Spiele, welche wir in der Hinrunde noch verloren hätten», so Lieder, «vielleicht können wir den nötigen Kampf nun besser annehmen.» Dass er den Kampf annehmen kann, hat Mart Lieder nicht nur in Aarau bewiesen, sondern im Laufe seiner nicht alltäglichen Karriere als Reaktion auf verschiedene Rückschläge immer wieder gezeigt.

Matchzeitung Nr. 15 (2015/16) lesen

Dieser Artikel ist am 20. März 2016 in der Ausgabe Nr. 15 (Saison 2015/16) der Matchzeitung HEIMSPIEL gegen den FC Wil erschienen.

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