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Im grossen Spielerportrait spricht Jérôme Thiesson über seine bisherige Karriere, seine Qualitäten als Allrounder und ein grosses Abenteuer in den USA.

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«Es waren die entscheidenden Spiele für meine Profi-Karriere», sagt Jérôme Thiesson, als die beiden Barrage-Spiele in der U-21-Nationalmannschaft zur Sprache kommen. Knapp elf Jahre sind vergangen, seit sich die Schweizer Nachwuchstalente im Brügglifeld gegen die spanischen Ballvirtuosen um Sergio Busquets, Juan Mata und Gerard Piqué durchsetzten, ehe die Träume einer EM-Qualifikation im Rückspiel auf dem iberischen Boden doch noch platzten.

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Erster Einsatz im Brügglifeld gegen den SC Kriens

Einst hatte Thiesson beim FC Stäfa mit dem Fussballspielen begonnen – «trotz Verbot meiner Mutter», lacht Thiesson. Der Zürcher litt unter einer Gräser- und Pollenallergie, was es als Kind aber nur spannender gemacht habe. Aus einer Vielzahl an sportlichen Aktivitäten kristallisierte sich das Spiel mit dem runden Leder immer mehr als Thiessons Lieblingssport heraus. Im Laufe der Zeit interessierten sich auch grössere Vereine aus der Umgebung für seine Qualitäten – so spielte er für die U-14-Auswahl des SC YF Juventus Zürich und wechselte nach einem Jahr in die Nachwuchsabteilung des FC Zürich. «In diesem Alter habe ich realisiert, dass ich mithalten kann», so Thiesson. Aus dem Traum, einmal Fussballprofi zu werden, wurde ein immer klareres Ziel. Dennoch galt es auch Rückschläge zu verkraften: Nach zwei Jahren endete Thiessons Zeit am Sportgymnasium Rämibühl, weil er die sportlichen Kriterien (Nachwuchs-Nationalteam) nicht erreichte; stattdessen absolvierte er eine KV-Ausbildung bei der United School of Sports, verbunden mit einem zweijährigen Praktikum beim Schweizer Rückversicherer «Swiss Re».

«Ich war immer stolz auf meinen Weg. In dieser Zeit habe ich mich in meiner Persönlichkeit und Selbstständigkeit sehr stark weiterentwickelt.»

Jérôme Thiesson, über seine Anfänge

Beim FC Zürich stand Thiesson mittlerweile an der Schwelle zur 1. Mannschaft, doch der sportliche Höhenflug der Stadtzürcher mit den Meistertiteln 2006 und 2007 sowie grösseren Ambitionen in der Champions League liess nur wenig Spielraum für den Einsatz von jungen Talenten. «Ich wollte unbedingt spielen und einen Schritt vorwärts machen», sagt Thiesson, woraufhin er sich zu einem leihweisen Wechsel zum FC Wil in die Challenge League entschloss. Zugleich zog er mit dem damaligen Aarau-Verteidiger Jonas Elmer – gemeinsam spielten sie im Stäfner Nachwuchs – in eine Wohngemeinschaft in Zürich. «Ich war immer stolz auf meinen Weg. In dieser Zeit habe ich mich in meiner Persönlichkeit und Selbstständigkeit sehr stark weiterentwickelt», so Thiesson. Endlich klapp­te es auch mit den Einsätzen für die Schweizer Nachwuchsauswahlen. So zählte er zu den Stammkräften der U-20-Equipe, ehe er sich in den Barrage-Partien gegen Spanien auch in der U-21-Mannschaft zeigen durfte. «Dort durfte ich mich auf einem höheren Niveau beweisen, was nicht unbemerkt blieb», weiss Thiesson.

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Nur wenige Wochen später war er mit dem Wechsel zur AC Bellinzona in der Super League angekommen. Neue Sprache, neue Umgebung, neue Mentalität – «ein gefühlter Transfer ins Ausland». In der Südschweiz konnte sich Thiesson rasch als Stammspieler etablieren, zweimal schaffte er den Ligaerhalt mit der «Granata» – vor allem die beiden Barrage-Spiele gegen den Kantonsrivalen aus Lugano blieben im Gedächtnis hängen («Das Tessin hat gebrannt»). Auch wenn sich Bellinzona im nachfolgenden Jahr – erneut in der Relegation – in die Zweitklassigkeit verabschieden musste, hat Thiesson «nur gute Erinnerungen» an seine Zeit im Süden.

Umsetzen, was der Trainer vorgibt

Ihn selbst zog es weiter zum FC Luzern, wo er «ohne Vorschusslorbeeren» ankam, aber sich während fünfeinhalb Jahren auf dem höchsten Niveau behaupten konnte. «Dabei musste ich immer um meinen Platz kämpfen, mir wurde nichts geschenkt», so Thiesson. Bemerkenswert: Unter allen acht Trainern in seiner Super-League-Zeit war er regelmässig gesetzt und kann auf die wertvolle Erfahrung aus 222 Spielen in der «Bel Etage» des Schweizer Fussballs vertrauen. Wie sieht sein Erfolgsrezept aus? «Ich habe immer versucht umzusetzen, was der Trainer mir vorgegeben hat», erklärt Thiesson, der die Polyvalenz als seine grosse Stärke sieht. So kam der designierte Aussenverteidiger im Laufe seiner Profi-Karriere auch schon im Abwehrzentrum, im defensiven Mittelfeld oder auf einer Flügelposition zum Einsatz. Thiesson: «Ich schätze die wechselnden Rollen. Es ist meine Art, mich in den Dienst der Mannschaft zu stellen.»

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Kampf um den Ball im Testspiel gegen Klingnau

Etwas Neues zu sehen war auch Thiessons Antrieb, als er die Zentralschweiz zu Beginn des Jahres 2017 verliess, um das Abenteuer «Major League Soccer» (MLS) in Angriff zu nehmen. Auch seine schwangere Frau Ivana – einst einige Monate in New York wohnhaft – war Feuer und Flamme für die Reise über den grossen Teich. «Am schwierigsten war es, den werdenden Grosseltern zu sagen, dass ihr Enkel in Amerika auf die Welt kommen würde», lacht Thiesson.

«Es hat mich gereizt, die Geschichte des Clubs mitzuschreiben. In fast jedem Spiel wurde eine historische Marke gesetzt.»

Jérôme Thiesson, über Minnesota United

Im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten wartete ein neues Projekt, denn die «Loons» – wie Minnesota United im Volksmund genannt wird – waren eben erst als 23. Franchise in die MLS aufgenommen worden. «Es hat mich gereizt, die Geschichte des Clubs mitzuschreiben», erklärt Thiesson, «in fast jedem Spiel wurde eine historische Marke gesetzt.» Überhaupt sei die Euphorie rund um den Verein in den beiden «Twin Cities» Minneapolis und St. Paul riesig gewesen, obwohl es in den vier grossen US-Profiligen schon etablierte Equipen aus der Region gab. «Minnesota ist ein stolzer Staat. Die Menschen leben dort für ihre Teams», sagt Thiesson, der den Wechsel in die MLS als grosse Herausforderung empfand. Zwar seien viele Spieler in der Schweiz taktisch und technisch besser geschult, doch bezüglich Infrastruktur, Physis und Tempo liegen die Vorteile eindeutig bei der MLS. «Die Liga wird laufend stärker. Erst recht, wenn die Ausbildung in den Nachwuchsakademien noch besser greift», glaubt Thiesson.

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«Jerry» im Trikot von Minnesota United

Insgesamt 48 Spiele absolvierte er – einmal mehr als Aussenverteidiger gesetzt – im Trikot von Minnesota United. Auch privat lief es rund: Vor zwei Jahren kam Sohn Jago auf die Welt, um das Glück der jungen Familie perfekt zu machen. «Es war unglaublich, wie viel Unterstützung wir in den USA erfahren durften. Innert Kürze sind so viele enge Freundschaften entstanden», so Thiesson. Am Ende sei es schwierig gewesen, wieder zu gehen. Nach zwei Jahren wurde sein Vertrag bei Minnesota nicht mehr verlängert. Andere MLS-Clubs zeigten Interesse, ihn für acht Monate zu verpflichten, aber Thiesson entschied sich auch aus Rücksicht auf seine Familie für eine längerfristige Perspektive, die der FC Aarau mit einem Zwei-Jahres-Vertrag bot.

Alles viel intensiver genossen

«Weil ich immer wusste, dass das Abenteuer in den USA mit einem Ablaufdatum versehen ist, habe ich alles viel intensiver genossen», blickt Thiesson zurück. Zurück in der Schweiz schloss er sich Rapperswil-Jona an, weil sein Wechsel ins Brügglifeld erst im Sommer vorgesehen war. «Ein Punkt mehr und ich würde ganz anders darauf zurückschauen», sagt Thiesson zu seinem Kurz­engagement bei den Rosenstädtern, welches im bitteren Abstieg in die Promotion League endete. Am letzten Samstag lief der «bilingue» aufgewachsene Allrounder mit französischen Wurzeln erstmals als FCA-Spieler im Brügglifeld auf. Als Gegner sei es für ihn speziell gewesen, weil er öfters gegen gute Freunde wie Lorenzo Bucchi, Jonas Elmer, Shkelzen Gashi oder Remo Staubli gespielt habe. Daher war «Jerry» schon früher als ­Zuschauer im Stadion anzutreffen.

«Es ist für mich ein wichtiger Ausgleich zum Sport, um auch einmal abschalten zu können.»

Jérôme Thiesson, über sein Studium

In wenigen Tagen feiert Jérôme Thiesson seinen 32. Geburtstag. Was kommt nach der aktiven Karriere? Darüber hat sich der sprachaffine Zürcher, welcher sich mit den Mitspielern auch in Englisch, Französisch, Italienisch, Serbokroatisch oder Spanisch unterhalten kann, schon viele Gedanken gemacht. Vor einigen Jahren holte er die Berufsmatura nach, später begann er ein Wirt-schaftsstudium an der Fernfachhochschule. Nun absolviert er einen Online-Studiengang in Sportmanagement an der Southern New Hampshire University, einem Kooperationspartner der Major League Soccer. «Es ist für mich ein wichtiger Ausgleich zum Sport, um auch einmal abschalten zu können. Zudem wird es mir helfen, um berufliche Türen zu öffnen», ist Thiesson überzeugt. Vorerst gilt sein Fokus aber den sportlichen Zielen mit dem FC Aarau.

Matchzeitung Nr. 2 (2019/20) lesen

Dieser Artikel ist am 2. August 2019 in der Ausgabe Nr. 2 (Saison 2019/20) der Matchzeitung HEIMSPIEL gegen den Grasshopper Club Zürich erschienen.

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