Es ist der 27. Mai 2016, und der FC Aarau empfängt in der letzten Meisterschaftsrunde der Challenge League den ebenfalls im Mittelfeld platzierten FC Schaffhausen. Für beide Teams geht es nur noch darum, die Saison mit einem Erfolgserlebnis abzuschliessen. So ist es verständlich, dass die Partie einige Zeit braucht, bis sie in Schwung kommt. Nach knapp zwanzig Minuten wird Shkelqim Demhasaj im Aarauer Sechzehner angespielt, lässt mit einem Haken Olivier Jäckle ins Leere rutschen und bringt die Munotstädter in Führung. Kaum haben die Aarauer angespielt, reagiert derselbe Demhasaj hellwach auf einen von FCA-Verteidiger Stéphane Besle ungenügend kontrollierten Ball und lässt Torhüter Ilija Kovacic erneut keine Chance. Innert gut einer Minute liegt das Team von Trainer Marco Schällibaum 0:2 hinten und muss sich am Ende mit 1:3 geschlagen geben.
«Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses Spiel. Es war wie eine Explosion.»
Für den Doppeltorschützen war diese Minute ein entscheidender Wendepunkt in seiner Karriere. Nachdem er in jener Saison von Trainer Axel Thoma nur wenig Einsatzzeit bekommen hatte, suchte er das Gespräch und bat um eine reelle Chance, sein Können zu zeigen. Thoma ging auf die Bitte ein und brachte Demhasaj von Anfang an. «Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses Spiel. Es war wie eine Explosion, und in der nächsten Saison verzichtete Axel Thoma auf die Verpflichtung eines neuen Stürmers und setzte voll auf mich», blickt der heutige FCA-Stürmer auf diesen Tag zurück. «Auch später unter Murat Yakin kam ich zu vielen Einsätzen und schoss auch regelmässig meine Tore.»
Fussballverrückte Familie
Angefangen hat aber alles natürlich viel früher. Sein Vater war schon im Kosovo ein begeisterter Fussballer gewesen und hatte in der 1. Liga gespielt. Als er dann in die Schweiz kam, wollte er sich beruflich etablieren, aber das Fussballspielen konnte er doch nicht ganz lassen. So schloss er sich dem FC Beringen an, und auch seine Söhne Shkelqim und Asllan machten dort ihre ersten fussballerischen Erfahrungen. «Wir sind eine total fussballverrückte Familie. Auch unsere Schwester ist sehr interessiert. Oft haben wir sogar im Wohnzimmer gespielt, wenn das Wetter zu garstig war.» Aus dieser Zeit stammt auch sein Rufname «Mimi», den ihm sein um ein Jahr jüngerer Bruder verpasst hat. «Er konnte noch nicht so gut sprechen, und Shkelqim war ihm zu kompliziert. Daher hat er mich immer ‹Mimi› gerufen. Das ist hängengeblieben, und unterdessen stelle ich mich auch den Mannschaftskollegen so vor, wenn ich in einen neuen Club komme.»
Später trennten sich dann die Wege der Brüder. Asllan schloss sich den Grasshoppers an, kehrte später nach Schaffhausen zurück und wurde dort im Sommer 2019 aussortiert. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, wo die Kader bereits standen, sodass er, auch wegen Corona, erst 2020 mit dem SC Brühl St. Gallen einen neuen Club fand. Dort spielt er heute noch als Verteidiger.
In Rekordzeit in die Challenge League
Shkelqim wechselte zu den «Munot Players», den Junioren des FC Schaffhausen. Er wollte seine Lehre als Logistiker abschliessen und bevorzugte deshalb einen Verein in der Nähe von Beringen. In der «Coca-Cola League» spielte er für die B-Junioren und ragte als Torschütze heraus. «Ich hätte zu unserem Partnerteam FC Winterthur wechseln können, doch mein Trainer Hans Stamm, der leider unterdessen gestorben ist, riet mir davon ab. Er meinte, ich profitiere mehr, wenn ich mich beim FCS über die 2. Mannschaft hocharbeite.» Der Rat war goldrichtig. Als in der 2. Mannschaft zu wenige Stürmer einsatzfähig waren, wurde der Nachwuchsspieler «Mimi» aufgeboten und erzielte beim Debüt gleich zwei Tore zum wichtigen 3:1-Sieg – dies eine Woche nach seinem letzten Einsatz mit den Junioren.
«In den ersten Trainings war ich schrecklich nervös, als mir klar wurde, welche berühmten Namen in dieser Mannschaft waren.»
Unter den Zuschauern befand sich auch der Trainer des Fanionteams, Maurizio Jacobacci, der vom jungen Stürmer so beeindruckt war, dass er ihn gleich zum Training mit der 1. Mannschaft einlud. Er gehörte jetzt fix zum Kader der 2. Mannschaft, trainierte aber immer wieder auch mit den Erstteamlern. «In den ersten Trainings war ich schrecklich nervös, als mir klar wurde, welche berühmten Namen in dieser Mannschaft waren», erinnert er sich. «Mit 17 stand ich gegen den FC Lugano zum ersten Mal in der Startelf. Meine Aufregung vor dem Anpfiff war beinahe grenzenlos.» Ein Treffer gelang ihm bei seinem Debüt nicht, aber immerhin erreichten die Schaffhauser ein torloses Remis.
Selbstständig in der Innerschweiz
Nachdem er seine Lehre erfolgreich abgeschlossen hatte, war es endlich an der Zeit, voll auf den Fussball zu setzen. Er unterschrieb den vorgelegten Nachwuchsvertrag beim FC Schaffhausen. «Der Lohn war natürlich nicht sehr hoch, aber ich hatte ja einen Beruf, mit dem ich mein Geld verdienen konnte.» So kam Shkelqims Karriere langsam voran. Nach dem Exploit in Aarau wurden auch andere Vereine auf den 20-Jährigen aufmerksam, und schliesslich wechselte er in die Innerschweiz zum FC Luzern. Hier wohnte er zum ersten Mal allein, fühlte sich aber von Anfang an gut integriert. Etwas schwierig war die Situation nur dadurch, dass es dauernd zu Trainerwechseln kam. «Ich hatte innerhalb der drei Jahre, die ich auf der Allmend war, fünf oder sechs verschiedene Trainer. Aber ich zeigte bei allen meine Leistung und konnte mich durchsetzen.»
Zu Hilfe kam ihm auch seine mannschaftsdienliche Art. Er ist kein eigensinniger Stürmer, der sich nur über die erzielten Tore definiert. Genauso gross ist die Freude, wenn er eine gute Vorlage gespielt hat und der Mannschaft so zum Sieg verholfen hat. So lässt er sich auch beim FCA ab und zu etwas zurückfallen und verlängert weite Pässe dank seiner Kopfballstärke zu Mitspielern, die dann in gute Abschlusspositionen kommen. Zuletzt gelang ihm dies beim schnellen Führungstor gegen den FC Thun, als er mit dem Kopf den Befreiungsschlag von Valon Fazliu leicht ablenkte und so das Offside des zurückeilenden Nikola Gjorgjev aufhob.
Aufstiege mit GC und Winterthur
Am Ende der drei Luzern-Jahre spürte «Mimi» dann, dass eine Veränderung wohl gut wäre. Der Grasshopper Club Zürich zeigte Interesse an ihm, denn bei den Heugümpern brauchte man treffsichere Stürmer, um den Aufstieg in die Super League zu realisieren. Er zog in die Limmatstadt um, wo er auch heute noch wohnt, und schloss sich dem einstigen Nobelclub an. «In der ersten Saison lief es auch sehr gut, wir konnten am Ende tatsächlich den Aufstieg feiern. Ich hatte viele Spiele und traf auch zehn Mal. Danach wurde es aber schwierig für mich, obwohl ich immer mein Bestes gab. Mehr konnte ich nicht tun, der Rest war Sache des Trainers.»
Die Hoppers holten nach dem Aufstieg mithilfe ihrer Investoren 15 neue Spieler, die zum Teil kaum besser waren als diejenigen, die den Aufstieg realisiert hatten, und so wurden die Einsätze von Shkelqim, aber auch diejenigen seiner damaligen wie heutigen Teamkollegen Aleksandar Cvetkovic, Nuno da Silva und Nikola Gjorgjev immer weniger. «Mimi» spielte in der Vorrunde kein einziges Spiel mehr über die volle Distanz, stand nur noch drei Mal in der Startelf und blieb ohne Torerfolg. Eigentlich wollte er sich nicht einfach so abschieben lassen, sah dann aber ein, dass die Chance auf vermehrte Einsätze bei den Grasshoppers eher gering war.
So stimmte er in der Winterpause schliesslich kurz vor Transferschluss einer Ausleihe nach Winterthur zu, wo er zum ersten Mal auf Trainer Alex Frei traf. «Der Wechsel hat mir viel gebracht, ich konnte wieder regelmässig spielen, und auch wenn ich wegen einer Verletzung nur auf acht Einsätze kam, fühlte es sich gut an, wieder gebraucht zu werden. Ein wenig konnte ich trotzdem zum Erfolg der Mannschaft beitragen und schliesslich meinen zweiten Aufstieg feiern.» Demhasaj ist übrigens der bislang letzte Challenge-League-Torschütze des FC Winterthur. Sein Penaltytreffer kurz vor Schluss in Kriens bedeutete den 5:0-Endstand und damit eben den Aufstieg der Eulachstädter unter dem heutigen FCA-Trainer.
Dass Alex Frei der Hauptgrund für seinen Transfer zum FC Aarau ist, verneint er aber. «Ich schaue bei einem Wechsel vor allem auf das Potenzial der Mannschaft, und bei unserem Kader bin ich überzeugt, dass da viel vorhanden ist. Im Moment kämpfen wir zwar mit grossen Schwankungen von Spiel zu Spiel, aber wenn wir dies in den Griff bekommen und die Leistungen konstanter werden, ist in der zweiten Saisonhälfte mit uns zu rechnen. Ich bin nicht nach Aarau gekommen, um einfach ein bisschen mitzuspielen. Ich will etwas erreichen – am liebsten den dritten Aufstieg meiner Karriere!»
Matchzeitung Nr. 9 (2023/24) lesen
Dieser Artikel ist am 26. November 2023 in der Ausgabe Nr. 9 (Saison 2023/24) der Matchzeitung HEIMSPIEL gegen den FC Sion erschienen.