Vor zwei Monaten bist du – für viele überraschend – zum FC Aarau zurückgekehrt. Was waren deine Beweggründe für diesen Wechsel?
Marcel PetermannDa gab es mehrere. Ich habe mich in meiner ersten Zeit in Aarau bereits sehr wohl gefühlt, daraus sind auch Freundschaften entstanden. Die Gespräche mit Sportchef Sandro Burki und Trainer Stephan Keller bestärkten mich in der Absicht, diesen Schritt zu machen. Ich strebte eine langfristige Lösung an, der FC Aarau konnte mir da auch eine gewisse Sicherheit geben. Und – nach einem turbulenten Jahr wollte ich mich wieder auf den Fussball konzentrieren. Hier fühle ich mich geborgen.
Marco AratoreWie nimmst du den FC Aarau heute wahr – acht Jahre, nachdem dein Leihvertrag damals endete?
Marcel PetermannMan spürt im Umfeld des FC Aarau eine grosse Erwartungshaltung. Aber es herrscht keine Hektik. Der Verein ist sehr gut aufgestellt, hier lässt sich etwas aufbauen. Meine ersten Eindrücke bestätigen das, was Sportchef und Trainer in unseren Gesprächen erzählt haben.
Marco AratoreNach den weiteren Stationen FC Basel U-21 und FC Winterthur bist du beim FC St. Gallen in vier Jahren vom Ergänzungsspieler zum Topskorer gereift. Wie hast du diese Entwicklung erlebt?
Marcel PetermannIch war bereits bei Winterthur zuletzt bester Skorer, deshalb war es nicht meine Ambition, in St. Gallen nur Ergänzungsspieler zu sein. Schliesslich benötigte ich aber ein halbes Jahr, bis ich mich an den höheren Rhythmus und den neuen Spielstil gewöhnte. In den letzten beiden Saisons lief es mir wirklich super und ich fühlte mich bereit für einen Wechsel ins Ausland.
Marco AratoreWenn Spieler von einem Engagement im Ausland träumen, dann gehört Russland eher nicht zu den favorisierten Destinationen. Was hat dich an diesem Abenteuer in Jekaterinburg, fast 4000 km von der Heimat entfernt, gereizt?
Marcel PetermannNatürlich wäre es auch schön gewesen, nach Deutschland oder Italien zu wechseln. Aber ein konkretes Angebot lag zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Die Offerte von Ural Jekaterinburg weckte mein Interesse. Auch wenn die russische Liga bei uns nicht sehr bekannt ist, so verfügt das Land doch über einige Top-Vereine, die auch international immer wieder ins Rampenlicht rücken. Ich wollte, nach Absprache mit meinem damaligen Berater und meiner Familie, diese Challenge packen. Es sind Erfahrungen gewesen, die mich weitergebracht haben. Eingesetzt zu werden im russischen Cupfinal, das war sicher eines der Highlights. Beeindruckt haben mich auch die grossen Stadien.
Marco AratoreWie schwierig war es für euch als Familie, sich in Russland zurechtzufinden?
Marcel PetermannEine grosse Hürde war die Sprache. Wir hatten gedacht, dass man mit Englisch besser durchkommt. Eine Privatlehrerin gab uns Russisch-Unterricht. Aber für die Kinder war es natürlich auch schwer, sich zu integrieren. Als meine Frau schwanger wurde, suchten wir eine Lösung, um in die Schweiz zurückkehren zu können. Zumal auch unser ältester Sohn vor der Einschulung stand. Da ergab sich eine Ausleihe zum FC Lugano.
Marco AratoreBei Lugano konntest du wieder an deine Form zu Sankt Galler Zeiten anknüpfen.
Marcel PetermannJa, dort hatte ich auch die Möglichkeit zum internationalen Vergleich mit den Gruppenspielen in der Europa League. Gerne erinnere ich mich an meinen Treffer auswärts beim 1:1 gegen Dynamo Kiew. Es deutete eigentlich alles darauf hin, dass Lugano die Option zieht, mich definitiv zu übernehmen. Aber dann kam Corona … und der Verein konnte oder wollte dieses finanzielle Engagement nicht mehr stemmen.
Marco AratoreLuganos Präsident Angelo Renzetti liess sich Anfang dieses Jahres in Bezug auf dich wie folgt zitieren: «Seine seriöse Arbeitsweise entspricht unserem Bild eines Deutschschweizers.» Ist Marco Aratore ein Musterprofi?
Marcel PetermannIch kann sicher behaupten, dass ich eine gute Einstellung zum Fussball, ja zum Leben allgemein habe. Alles für seine Leidenschaft zu geben, das ist das A und O. Ich konnte als Junior lange von meinem Talent leben, aber ab einem gewissen Niveau reicht Talent allein halt nicht mehr. Da erfordert es Hingabe und Respekt, um diesen Beruf professionell auszuüben.
Marco AratoreWas ziehst du für eine erste persönliche Zwischenbilanz seit deiner Rückkehr zum FCA?
Marcel PetermannEs ist für alle ein spezielles Jahr, für mich bedeutete es lange Zeit: wenig spielen, aber viel trainieren. Erst die Vorbereitung nach dem Lockdown mit Lugano, dann musste ich vorerst zurück nach Russland, und wieder das volle Vorbereitungsprogramm. Nach der Vertragsauflösung der Wechsel zu Aarau. Dort plagten mich zunächst muskuläre Probleme. Der Trainer erwartet viel von mir, ich selber aber auch. Wir sind in einem guten Austausch. Stephan Keller gibt mir die nötige Zeit. Es ist mein Anspruch, ein sehr wichtiger Spieler des FC Aarau zu werden. Dazu brauche ich den Spielrhythmus, um wieder die Qualität auf den Platz zu bringen.
Marco AratoreDem FC Aarau mangelt es zurzeit an Effizienz im Abschluss. Wir wirkt ihr diesem Manko entgegen?
Marcel PetermannPositiv ist zunächst mal, dass wir uns überhaupt so viele Torchancen erspielen. Wichtig ist, bereits im Training diese geforderte Kaltblütigkeit im Abschluss hinzukriegen. Wir sollten das auch nicht zu viel thematisieren, sondern an unsere Qualitäten glauben, dann wird es irgendwann anhängen mit dem Toreschiessen.
Marco AratoreDein guter Freund und Trauzeuge Oli Jäckle bestreitet am Freitag sein 250. Pflichtspiel für den FC Aarau. Was sind deine Gedanken dazu?
Marcel PetermannIm heutigen Fussballbusiness kommt es nur noch selten vor, dass ein Spieler so oft für den gleichen Verein aufläuft. Oli darf stolz sein auf diese Zahl! Seine Entwicklung verdient Respekt. Er ist auf dem besten Weg, eine grosse Figur für den FC Aarau zu werden.
Marco AratoreMatchzeitung Nr. 7 (2020/21) lesen
Dieser Artikel ist am 27. November 2020 in der Ausgabe Nr. 7 (Saison 2020/21) der Matchzeitung HEIMSPIEL gegen den FC Winterthur erschienen.