Der Samstag beginnt für mich – wie immer – mit einem Cappuccino und dem Frühstück. Um 9.00 Uhr fahre ich los ins Brügglifeld. Bis zum Spiel sind es noch rund 30 Stunden. Vor dem Abschlusstraining muss ich mich wegen einer Zerrung behandeln lassen, welche mich aber glücklicherweise nicht mehr behindert. Bevor es auf den Rasen geht, steht eine Theorielektion mit der Mannschaft auf dem Programm. Inhalt: Präsentation und Analyse des Gegners. Als Torhüter erhalte ich immer noch einen separaten Input von Goalietrainer Lorenzo Bucchi, wo wir die einzelnen Spieler gemeinsam analysieren, damit ich mich besser auf sie einstellen kann und weiss, wie sie spielen. Dann geht es nach draussen.
«An eine mögliche Absage des Spiels verschwende ich keinen Gedanken, um den Fokus nicht zu verlieren.»
An Training ist angesichts der winterlichen Verhältnisse nicht zu denken. Nachdem wir als Mannschaft einen Teil des Hauptplatzes vom Schnee befreit haben, wird die Einheit kurzfristig auf den Kunstrasenplatz in Gränichen verschoben. Mein Training besteht – wie immer einen Tag vor einem Ernstkampf – vor allem aus Arbeit an meiner Schnelligkeit und Spritzigkeit, um am Matchtag bereit zu sein. An eine mögliche Absage des Spiels verschwende ich trotz der eisigen Temperaturen und des gefrorenen Terrains im Brügglifeld keinen Gedanken, um den Fokus nicht zu verlieren.
Wieder zu Hause versuche ich dann allerdings bestmöglich abzuschalten. Deshalb sieht mein Programm auch sehr überschaubar aus: Nach dem Nachtessen schaue ich noch etwas fern und mache mir ein paar gemütliche Stunden.
Heute Morgen sieht es ganz anders aus. Nun denke ich nur noch an Fussball. Ich stehe gegen 8.30 Uhr auf und mache mir Rührei. Es folgen einige Stabilisationsübungen, um meine Muskeln aufzuwärmen. Danach ist mein Körper wach. Heute ist ein aussergewöhnlicher Tag – und dies nicht nur, weil
das letzte Aargauer Derby gegen Wohlen im Brügglifeld ansteht. Es ist auch mein 28. Geburtstag. Natürlich wünsche ich mir drei Punkte und dass ich ohne Gegentreffer bleiben werde.
Im Laufe des Tages bekomme ich viele Glückwünsche, auch von meinen Mannschaftskameraden. Diese treffe ich zur Mittagszeit beim Zusammenzug im Hotel Aarau-West in Oberentfelden. Um 12.30 Uhr wird das Essen serviert. Es gibt Suppe, danach Pasta, Poulet und Rüebli – wie immer vor einem Spiel. Dann trinke ich einen Espresso. Es folgt ein gemeinsamer Spaziergang rund um den Golfplatz, bevor wir mit unseren Privatautos zum Stadion fahren.
Im Brügglifeld gibt es eine Teamsitzung. Diese dauert nicht mehr lange, denn wir haben bereits die ganze Woche auf dieses Spiel hingearbeitet und jeder weiss, was zu tun ist. Es werden nun die soeben eingetroffene Aufstellung des Gegners sowie die Deckungsaufgaben der einzelnen Spieler besprochen. Rund 45 Minuten vor Spielbeginn geht es für mich auf den Rasen. Mit Kollege Lars Hunn sowie mit unserem Goalietrainer Lorenzo Bucchi machen wir ein spezielles «Einlaufen» für den Match. Dies beinhaltet nebst Schüssen und Flanken auf unser Tor auch Übungen, die mir Sicherheit und ein gutes Gefühl geben.
«Kurz vor dem Anpfiff, wenn ich ins Tor stehe, berühre ich den Pfosten, die Latte und nochmals den Pfosten. Danach mache ich ein Kreuz.»
Ich gehe dann einige Minuten vor der Mannschaft in die Kabine zurück, ziehe mich um und studiere nochmals alle besprochenen Standardsituationen. Danach kommt auch die Mannschaft in die Kabine, wir bilden einen Kreis und ein Spieler motiviert das Team mit einer kurzen Ansprache für das Spiel. Ich bin nicht nervös, spüre aber ein grosses Kribbeln. Die Vorfreude auf das Derby ist riesig. Dass wir in wunderschönen Sondertrikots auflaufen ist eine zusätzliche Motivation.
Kurz vor dem Anpfiff, wenn ich ins Tor stehe, berühre ich den Pfosten, die Latte und nochmals den Pfosten. Danach mache ich ein Kreuz. Dies ist mein Ritual seit meinem ersten Spiel mit Sion in der Super League. Ich spüre so das Tor und sage mir selber, dass ich keinen Treffer zulassen will. Es folgt der Anpfiff, aber das Spiel läuft nicht wie gewünscht. Zwar gehen wir früh im Spiel zweimal in Führung, doch der Ausgleich von Wohlen folgt jeweils postwendend.
Beim ersten Gegentreffer pralle ich gegen den Pfosten und verletze mich am linken Oberschenkel. Die Schmerzen werden immer grösser, trotzdem will ich weiterspielen, bin extrem ehrgeizig. Prompt unterläuft mir ein Fehler vor dem zweiten Tor. Rund zehn Minuten später muss ich mich auswechseln lassen – vor den Augen meiner Freundin und einiger Kollegen, die das Spiel im Stadion mitverfolgen. Ans Weiterspielen ist nicht zu denken.
Ich rege mich auf, dass ich zu verbissen war und mich nicht früher auswechseln liess. Rückblickend wäre es die richtige Entscheidung gewesen; stattdessen sitze ich nun auf der Ersatzbank und mache mir viele Gedanken. Ich bin froh, dass es meinen Kollegen gelingt, das Spiel zu gewinnen. Nach dem Spiel überwiegt die Freude auch bei mir – zusammen mit unseren Fans zu feiern ist immer ein besonders schöner Moment.
Meine Freundin lädt mich zur Feier meines Geburtstages nach dem Spiel ins Restaurant ein. Aufgrund meiner Verletzung tue ich mich schwer mit Laufen und muss das Bein hochlagern. Wie sich später herausstellen wird, handelt es sich bei der Verletzung um eine Prellung, welche voraussichtlich keine lange Ausfalldauer zur Folge haben wird. Wieder zu Hause schaue ich mir das Derby nochmals an, um es für mich selbst zu analysieren – wie ich es nach jedem Match tue. Ich bin jeweils noch voller Adrenalin, so auch heute, und kann erst sehr spät in der Nacht schliesslich einschlafen.
Matchzeitung Nr. 13 (2017/18) lesen
Dieser Artikel ist am 12. März 2018 in der Ausgabe Nr. 13 (Saison 2017/18) der Matchzeitung HEIMSPIEL gegen den FC Rapperswil-Jona erschienen.