«Lieber am Freitag, am Mittwoch habe ich Enkeltag», war die Antwort, als ich Rolf Osterwalder zwei Termine für das Gespräch vorschlug. So führte mich also der Mittagsspaziergang an den Rand des Dorfes, wo mich der ehemalige FCA-Captain bereits erwartete. Rolf Osterwalder gehörte in den 1980er-Jahren zu den besten Fussballern des Landes und ist vielen FCA-Fans auch heute noch ein Begriff.
«Als kleiner Bub war ich in der Jugi und begann erst spät mit dem Fussballspielen. Mit 14 trat ich den B-Junioren des FC Rohr bei», erinnert sich Rolf Osterwalder an die Anfänge. Zwei Jahre später wechselte er in die Nachbarstadt zu den Inter-Junioren. «Mein Vater kannte den FCA-Vizepräsidenten Eddy Kaufmann vom Kunstturnen her. So kam der Kontakt zustande.» Im gleichen Jahr stiess auch Raimondo Ponte zur Mannschaft; ein Jahr später folgte Roger Hegi. Damit war die Achse, die in der Folge das Spiel des FC Aarau bestimmen sollte, komplett.
«Wir trainierten vier Mal in der Woche, immer am Abend um 18.30 Uhr.»
Bereits im Alter von 17 Jahren durfte «Haas», wie er von seinen Kollegen gerufen wurde, erste Erfahrungen im Fanionteam machen. Trainer Werner Olk bot ihn, Hegi und Ponte für einige Spiele auf – und ab 1972 gehörten sie zum Stamm der NLB-Mannschaft. Zu jener Zeit gab es in der Schweiz noch keinen Profibetrieb. Alle Spieler arbeiteten tagsüber oder machten nach der Schule eine Lehre. «Wir trainierten vier Mal in der Woche, immer am Abend um 18.30 Uhr. Das bedeutete, dass ich nach der Arbeit mit dem Velo von Rohr ins Brügglifeld fuhr und nach dem Training ziemlich erschöpft wieder heimzu radelte.»
Der Aufwand lohnte sich, denn nach Abschluss seiner KV-Lehre kam ein Angebot von Xamax, wohin der 20-Jährige dann wechselte. Auch in Neuenburg war man noch weit entfernt von einem Profibetrieb. Gilbert Gress wirkte als Spielertrainer, und mit Jean-Claude Richard stand gerade mal ein einziger Profi im Kader. Im Verlauf seiner fünf Jahre, die er in Neuenburg verbrachte, hatte er diverse Mitspieler, die auch heute noch bekannte Grössen im Schweizer Fussball sind: Michel Decastel, Christian Gross, Hanspeter «Bidu» Zaugg, Philippe Perret oder Lucien Favre. Und dann war da noch ein Torhüter namens Christian Constantin.
«Eine grosse Enttäuschung»
«Er war ein Kämpfer, der sich nicht schonte. Egal, wie die Bodenverhältnisse waren, er warf sich jedem Gegner entgegen, auch wenn er tief im Sumpf landete», beschreibt Osterwalder den heutigen Sion-Präsidenten. «Trotz seines Kampfgeistes kam er aber nicht an den arrivierten Goalies wie Hans Küng oder Hans Stemmer vorbei. Er brachte es auf rund 30 Einsätze in der Meisterschaft.» Ganz im Gegensatz zu Osterwalder, der es von 1975 bis 1980 auf 121 Meisterschaftsspiele brachte und dabei als Verteidiger immerhin acht Tore erzielte.
Besonders in Erinnerung aus seiner Zeit bei den Rot-Schwarzen blieb ihm aber der Cup-Halbfinal vom 16. April 1979 auf der Charmilles in Genf: «Wir führten mit Christian Constantin im Tor gegen Servette bis kurz vor Schluss durch Hanjo Weller und Jean-Robert Rub 2:1, ehe dem Holländer Piet Hamberg doch noch der Ausgleich gelang. In der Nachspielzeit zerstörte Hamberg schliesslich mit seinem zweiten Tor unseren Traum vom Cupfinal. Das war eine grosse Enttäuschung.» Dass er nur sechs Jahre später ausgerechnet gegen Xamax doch noch im Cupfinal stehen würde, hätte «Haas» sich damals wohl kaum träumen lassen.
Mit 25 Jahren entschloss sich Rolf Osterwalder, nach Aarau zurückzukehren. «Ich hatte zwar Angebote aus St. Gallen und Lausanne, aber diese waren zu wenig gut. Da ging ich lieber in die Nationalliga B und legte den Schwerpunkt auf meinen Beruf. Vorstandsmitglied Peter Mondelli half mir bei der Suche nach einer Stelle. So arbeitete ich fünf Jahre mit einem Vollpensum auf der Hypothekarbank Lenzburg. Das Training fand weiterhin am Abend statt, sodass es nicht schwierig war, Beruf und Sport miteinander zu verbinden. Auf der Bank wussten die meisten meiner Kollegen und Kolleginnen gar nicht, was ich neben der Arbeit noch machte. Nach dem grössten Erfolg, dem Cupsieg am Pfingstmontag 1985, feierten wir bis um 2 Uhr nachts in Aarau – und am Dienstagmorgen war ich pünktlich um 7 Uhr wieder in der Bank!»
«Dieser Titel bedeutet mir extrem viel, weil die Wahl von Trainern und Spielern vorgenommen wurde.»
Dieser Cupsieg war, zusammen mit dem Aufstieg in die Nationalliga A ein Jahr nach der Rückkehr aus Neuenburg, natürlich der grösste Erfolg von Rolf Osterwalder, zumal er als Captain des Teams die Trophäe aus den Händen von Bundesrat Kurt Furgler entgegennehmen durfte. Besonders gerne erinnert er sich aber auch an die Wahl zum «Fussballer des Jahres»: «Dieser Titel bedeutet mir extrem viel, weil die Wahl von Trainern und Spielern vorgenommen wurde, von absoluten Fachleuten also. Kommt dazu, dass ich bis heute der einzige Spieler bin, der diesen Titel gewonnen hat, ohne ein einziges Länderspiel absolviert zu haben.» Dass er zwar Aufgebote für die B-Nationalmannschaft und die Olympia-Auswahl, aber nie für die «richtige Nati» bekommen hat, ist für Osterwalder kein Problem. «Ich habe 13 Jahre Nationalliga A gespielt, und zu meiner Zeit gab es halt einfach einige, die noch besser waren. Ausserdem ist es schwierig, in den Fokus der Verantwortlichen zu rücken, wenn dein Club nicht ständig um die Meisterschaft mitspielt. Aber es ist absolut okay so.»
Erst mit der Verpflichtung von Ottmar Hitzfeld als Trainer begann auch beim FC Aarau die Professionalisierung. Es fanden Trainings am Nachmittag um 15.30 Uhr statt, ab und zu sogar am Morgen. Im Alter von 30 Jahren wechselte Rolf Osterwalder zum Bankverein, wo er ungefähr ein 80%-Pensum bewältigte. So konnte er weiterhin Beruf und Fussball unter einen Hut bringen. Und noch einmal erlebte er Tiefpunkte und Höhepunkte, wie sie nur der Sport bieten kann. Im Frühling 1987 stand eine Verkleinerung der Nationalliga A an, und der FC Aarau musste hart um seinen Platz in der obersten Spielklasse kämpfen. «Wir verloren in Lugano wegen eines Gegentores kurz vor Schluss unglücklich 0:1 und mussten im Heimspiel dann dieses Handicap wettmachen. Getragen von über 11 000 Fans steigerten wir uns in einen Rausch und liessen den Tessinern keine Chance.»
Entscheidung in der letzten Runde
Ein Jahr später, als der Wechsel von Hitzfeld zu den Grasshoppers bereits feststand, kam es in der letzten Runde ausgerechnet im Hardturm zum entscheidenden Spiel. Mit einem Sieg hätte der FC Aarau sogar noch den Titel holen können, doch vor rund 27 000 Zuschauern, die meisten aus dem Aargau, setzte es ein knappes 1:2 ab – der Traum war geplatzt. In Erinnerung bleibt aber weniger das Ergebnis als die Tatsache, dass die Gästefans kurzerhand die Autobahn als Parkplatz benützten, weil schon lange vor Spielbeginn der Verkehr total zum Erliegen gekommen war.
Nach Hitzfeld übernahm der Pole Hubert Kostka die Trainingsleitung im Brügglifeld. Nach einem ansprechenden Saisonstart lief es immer harziger, sodass noch vor der Winterpause die Entlassung Kostkas verkündet wurde. «Eigentlich hatten wir eine gute Mannschaft zusammen, aber es lief einfach nicht so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir hätten mit diesem Kader, in dem Adrian Knup, Christian Matthey oder René van der Gijp figurierten, die Finalrunde erreichen müssen. Schliesslich schafften wir unter Wolfgang Frank den Ligaerhalt, und ich erreichte zum Abschluss meiner Karriere noch einmal den Cupfinal, wo wir allerdings gegen Hitzfelds GC verloren.» Das letzte Profispiel von Rolf Osterwalder fand am 14. Juni 1989 im Brügglifeld statt. Chiasso hiess der Gegner vor 1900 Zuschauern, und dank einem Hattrick von Matthey und einem Tor von Knup verabschiedete sich der langjährige FCA-Captain immerhin mit einem Sieg vom Profifussball.
«Niemals hätte ich den Spatz in der Hand gegen die Taube auf dem Dach eingetauscht.»
Der FC Lenzburg war Osterwalders erste Trainerstation. Nach zwei Jahren in der 3. Liga schaffte er als Spielertrainer den Aufstieg und wechselte nach weiteren vier Saisons zum Erstligisten Muri, wo er zwei Spielzeiten als Trainer wirkte. Zwischenzeitlich hätte er als Trainer in die NLB zum FC Baden wechseln können, doch er hatte sich als 35-Jähriger für die berufliche Laufbahn entschieden – und dabei blieb er. «Ich war immer ein Sicherheitsmensch. Die Risiken einer Trainerkarriere erschienen mir zu gross. Niemals hätte ich den Spatz in der Hand gegen die Taube auf dem Dach eingetauscht.»
Mit 62 Jahren beendete «Haas» dann seine Arbeit auf der Bank und geniesst seither sein Leben im Ruhestand. Seine Enkel sind ihm sehr wichtig; daneben lernt er etwas Englisch, liest gerne Krimis, treibt viel Sport und hat damit begonnen, Akkordeon zu spielen.
Im Brügglifeld war Rolf Osterwalder schon länger nicht mehr, er verfolgt allerdings den FCA immer noch via Medien und freut sich sehr, dass es Patrick Rahmen geschafft hat, nach dem miserablen Saisonstart die Mannschaft auf den richtigen Weg zu bringen. «Da sieht man, wie wichtig es ist, dass die Chemie in der Mannschaft stimmt. Heute ist auch ein Fussballklub ein normaler Arbeitgeber, bei dem Angestellte kommen und gehen. Aber ohne Zusammengehörigkeitsgefühl können auch heute keine grossen Erfolge gefeiert werden. Früher war es vielleicht familiärer, weil wir alle aus einem Umkreis von 20 Kilometern kamen. Wir spielten damals nicht fürs grosse Geld, aber zusammen mit dem Beruf hatten wir doch ein gutes Einkommen. Ich habe immer noch Kontakt mit vielen ehemaligen Teamkollegen. Erst im Januar organisierte ich mit Raimondo Ponte in Windisch ein Treffen, an dem 15 Spieler aus der Saison 1973/74 teilgenommen haben.»
Matchzeitung Nr. 16 (2018/19) lesen
Dieser Artikel ist am 12. April 2019 in der Ausgabe Nr. 16 (Saison 2018/19) der Matchzeitung HEIMSPIEL gegen den FC Winterthur erschienen.